Fronhausen und die vielleichst dickste Chronik der Welt
Im Juni 2009 feierten die Fronhausener vier Tage lang Fest. Grund war das 850-jährige Bestehen ihres Dorfes. Zu diesem Anlass wurde am Rathausplatz ein neuer Gedenkstein enthüllt und außerdem eine Dorfchronik herausgegeben, die ihresgleichen sucht. Ein geradezu monumentales Werk, fast acht Zentimeter dick, das auf 1178 Seiten die Geschichte Fronhausens von der ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 1159 bis zum Jahr 2009 wiedergibt. (Nur nebenbei: Die aktuelle Chronik der Stadt München ist nur halb so dick.)
Vielleicht ist Fronhausen noch viel älter, als die erste Erwähnung vermuten lässt, eine frühere Besiedlung der Fronhäuser Gegend ist zumindest sehr wahrscheinlich. Diverse Funde weisen darauf hin, wie etwa ein Mammut-Backenzahn, der vermuten lässt, dass die mutigen Menschen im Lahntal auf Mammutjagd gingen. Die erste belegte Erwähnung als „Vronehusen“ stammt aus dem Mainzer Urkundenbuch im Jahr 1159. An dieser Stelle kommt die Ruhrpott-Verbindung ins Spiel, genauer zur heutigen Stadt Essen, die für Fronhausen eine entscheidende Rolle spielte und der Ortschronik zu ihrem Namen verhalf: „Von Essen nach Hessen“.
Fangen wir in Essen an: Die Keimzelle für die Entwicklung der Stadt Essen war ein Frauenstift, damals eine Art religiöse Wohngemeinschaft für Frauen, die ohne Gelübde in einer klosterähnlichen Anlage zusammenlebten. Die übrigens oft adligen Damen wurden auch als „Kanonissen“, „Chorfrauen“ oder „Stiftsdamen“ bezeichnet.
Frauenstifte werden auch „Kanonissenstift“ genannt. Die Vorsteherin ist die „Domina“, was der lateinische Ausdruck für „Herrin“ ist. Die Frauenstifte entstanden, wenn jemand, z.B. eine begüterte Witwe oder ein Adliger, die notwendigen finanziellen Mittel dafür bereitstellte. Eine solche Stiftung galt als ein gottgefälliges Werk, denn die Stiftsdamen hatten meistens den Auftrag, für das Seelenheil der Stifter zu beten.
Das Essener Frauenstift war ein Reichsstift, also ein weltliches Gebiet mit geistlicher Obrigkeit, die direkt dem Kaiser unterstand. Dem Stift wurden im Laufe der Jahre viele Gebiete zugeordnet, oftmals wurden sie dem Stift geschenkt. Diese Gebiete mussten nicht gerade angrenzend an das Frauenstift sein. Wie genau die Essener zu dem etwa 180 km entfernten hessischen Besitz gelangten, lässt sich allerdings nicht genau sagen. Als wahrscheinlich gilt, dass ein fränkisches Adels- und Herrschergeschlecht, die Konradiner, dem Frauenstift den hessischen Ort übereignete, vermutlich weil ihnen kurz vorher die männlichen Nachfahren ausgegangen waren. Fronhausen wurde also vor hunderten Jahren zum Mittelpunkt einer „Immunität des Reichsstiftes aus Essen“, also eine Region, die nicht dem weltlichen Einfluss unterstand, quasi immun gegen weltlichen Einfluss war.
Der Name „Fronhausen“ leitet sich aus den mittelhochdeutschen Wörtern „vrôno“ (herrschaftlich) und „hûs“ (Haus) ab. Der „Frondienst“ war also ein Dienst von Leibeigenen für den herrschaftlichen „Fronhof“, auch Herrenhof genannt, was im Grunde genommen ein Gutshof ist, den oftmals der vom Stift eingesetzte Vogt als Verwalter bewohnte. Hier kommen in Fronhausen als Wohnsitze des Vogts die Begriffe „Oberburg“ und „Unterburg“ ins Spiel, ursprünglich zwei Wasserburgen, wobei die „Oberburg“ zuerst da war und die „Unterburg“ durch Erbteilung entstand. Beide Objekte sind, jedenfalls was davon jeweils erhalten ist, heute in Privatbesitz.
Wie bei fast allen älteren Ortschaften üblich änderte sich der Name geringfügig in seiner Schreibweise. Aus Vronehuse wurde Fronehusin, dann auch mal Fronhuß und im Jahre 1592 ganz nah an der heutigen Bezeichnung: Fronhaußen an der Loin.
So ziemlich das erste, was die Fronhausen der Einwohnerbauten, war eine Kirche. Diese ist auch der Inhalt in der ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 1159. Der damalige Pfarrer Dietmar aus Oberweimar erhob nämlich Anspruch auf die Kirche, doch der Erzbischof Arnold von Mainz sprach die Kirche weiterhin dem Stift Essen zu. Die Kirche hat die vielen Jahre mit verschiedenen Veränderungen und Renovierungen ganz gut überstanden. Der spätmittelalterliche Chorturm ist gut erhalten, das Dach des Turmes wird als „Kegelspiel“ bezeichnet, weil acht kleinere Türmchen um den mittleren großen Turm gruppiert sind. Im 20. Jahrhundert wurden Heizung, elektrische Beleuchtung und eine neue Orgel eingebaut. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall!
Das ursprüngliche Fronhausen ist heute Sitz der Gemeindeverwaltung der Großgemeinde Fronhausen. Die freiwillige Fusion der beiden bis dahin selbständigen Gemeinden Fronhausen und Sichertshausen bildete Ende 1971 im Zuge der Gebietsreform in Hessen die neue „Gemeinde Fronhausen“. 1974 wurde daraus kraft Landesgesetz eine „Großgemeinde Fronhausen“, weil die fünf kleineren Gemeinden Bellnhausen, Erbenhausen, Hassenhausen, Holzhausen und Oberwalgern hinzukamen.
So ist Fronhausen etwas größer geworden, aber immer noch klein und schön genug, so dass es sich vortrefflich dort leben lässt. Die Geschichte des Ortes in diesen wenigen Zeilen wieder zu geben, ist kein Vergleich zu der Ausführlichkeit der Ortschronik. Ein Gladenbacher Heimatforscher schlug einmal vor, das Werk beim Guinness-Buch der Weltrekorde einzureichen – als dickste Chronik der Welt.